Was heißt Anti-D-Geschädigte? Was ist passiert? Arzneimittelskandal?

Bei den Anti-D geschädigten Personen handelt es sich weitestgehend um Frauen, die in den Jahren 1978/79 bei einer obligatorischen Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis-C-Viren infiziert wurden. Sie sind zugleich Opfer der größten Arzneimittelstraftat in der damaligen DDR (Urteil des Bezirksgerichtes in Halle 4. Senat Az.: 4 BS 13/79 131-70-79), weil der Hersteller (BIBT Halle) und Patentinhaber der DDR-Anti-D-Immunprophylaxe 1978, bereits vor Produktionsbeginn der relevanten Serum-Chargen, von der Viruskontaminierung des Ausgangsmaterials Kenntnis hatte. Nach der Zahl der Betroffenen, handelt es sich – nach dem Contergan-Skandal – um den größten Arzneimittelskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte welcher zu DDR-Zeiten auch einer strengen Geheimhaltung unterlag.

Anti-D-Immunprophylaxe bedeutet, dass Rh-negative Frauen, die ein Rh-positives Kind gebaren, zur Verhinderung von Rh-Konflikten bei späteren Schwangerschaften ein aus menschlichem Blutplasma hergestelltes Human-Immunglobulin Anti-D injiziert bekamen.


Hepatitis-C viruskontaminiert waren die Anti-D-Immunglobulin-Chargen: 080578, 090578, 100678, 110678, 120778, 130778, 140778, 150878, 160978, 171078, 181078, 191078, 201178, 211178 und 221278.  Lt. Gerichtsakte wurden allein an Rh-negative Frauen „vermutlich“ 6800 Ampullen verabreicht. Diese Chargen wurden 1978 vom „Staatlichen Kontrollinstitut für Seren und Impfstoffe (SKISI)“ der DDR  freigegeben. Bis zur 25. Woche des Jahres 1979 waren bereits 2.533 Personen (davon 95 Säuglinge und 18 Kontaktpersonen), akut an NonA-nonB Hepatitis (Hepatitis-C) erkrankt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass in dieser Zeit und danach wesentlich mehr Personen mit Hepatitis-C-Viren infiziert wurden und infolge an der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion erkrankten als allgemein bekannt ist. Der genaue Genotyp des Hepatitis-C-Virus gilt als identifiziert.

Die Betroffenen wurden zunächst nach dem „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen“ (GÜK) der DDR unterstützt. Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten weigerte sich die Bundesregierung, die ihr spätestens durch die Einigungsvertragsverhandlungen bekannte strafrechtlich relevante Ursache „Anti-D-Arzneimittelstraftat“ und daraus resultierende Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche der Straftatsopfer anzuerkennen und unterstellte die Opfer als sog. „normale Impfgeschädigte" dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Den Anti-D-Geschädigten wurden dadurch bestehende  Rechts- und Entschädigungsansprüche vorenthalten. Am 9. Juni 2000 verabschiedete der Bundestag das „Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen” mit der Wirkung zum 1. Januar 2000 (Anti-D-Hilfegesetz – AntiDHG). Auf der Grundlage dieses Gesetzes erhalten infizierte Frauen, ihre nach der Immunprophylaxe geborenen und infizierten Kinder sowie andere infizierte Kontaktpersonen, einen Anspruch auf finanzielle Hilfe und Krankenbehandlung. Die monatlichen Rentenleistungen lagen im Jahr 2004 zwischen 271 und 1082 Euro. In demselben Jahr waren nach dem Anti-D-Hilfegesetz insgesamt 2.471 als Geschädigte anerkannt, wovon wiederum nur 969 einen MdE-Grad der Schädigungsfolgen zuerkannt bekamen, der ihnen neben einer entsprechenden Einmalzahlung auch eine monatliche Rente garantierte.

Von diesen 969 Geschädigten wurden bei 784 die MdE 30 v. H. (ca. 272 €/mtl.)
  bei 152 die MdE 40 v. H. (ca. 434 €/mtl.)
  bei   15 die MdE 50 v. H. (ca. 598 €/mtl.)
  bei   10 die MdE 60 v. H. (ca. 815 €/mtl.)
und nur bei     8 die MdE 70 v. H. oder höher (ca. 1.082 €/mtl.) anerkannt.

Von den 1.502 Verbliebenen erhielten 1.119 Geschädigte einen MdE-Grad der Schädigungsfolgen von 10 bis 20 v. H. und damit lediglich den Anspruch auf eine Einmalzahlung in Höhe von 7.000 DM (ca. 3.500 €) zuerkannt. 383 Geschädigte, bei denen ein MdE-Grad 0 v. H. festgestellt wurde, erhielten überhaupt keine Leistungen. Der Höhepunkt der Einmalzahlungen wurde bei Inkrafttreten des Anti-D-Hilfegesetzes im Jahr 2000 mit 7 Millionen Euro erreicht. Außerdem kamen von den ehemals eingeplanten jährlichen Kosten aufgrund des Anti-D-Hilfegesetzes in Höhe von 10 Mill. € im Jahr 2004 nur rund 2 Millionen Euro für monatliche Rentenleistungen zur Auszahlung, welche jeweils zur Hälfte von den betroffenen Bundesländern und vom Bund finanziert werden. Dabei wurden Einmalzahlungen anrechnungs- und steuerfrei geleistet, monatliche Rentenleistungen in Anrechnung auf andere Sozialleistungen hingegen bis heute hälftig als Einkommen.

Die Verantwortung für die dem Sinn entsprechende Umsetzung des Anti-D-Hilfegesetzes liegt bei der Bundesregierung. Die Zuständigkeit wiederum obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden des Landes, zu dessen heutigem Gebiet der Ort gehört, an dem die schädigende Anti-D-Immunprophylaxe ehemals durchgeführt wurde.

Seit Einführung des Anti-D-Hilfegesetzes führt diese Situation bis heute dazu, dass das bei Inkrafttreten dieses Gesetzes von der Bundesregierung und den Verfahrensbeteiligten beabsichtigte Ziel zunehmend durch restriktive und negierende MdE/GdS-Anerkennungspraktiken seitens der zuständigen Landesbehörden ausgehöhlt und nahezu ins Gegenteil verkehrt wird. Anerkennungsbescheide, welche den Grad der Funktionsbeeinträchtigung von Folge- und Spätschäden der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion und von Interferontherapien realitätsnah widerspiegeln, ergehen vielfach erst nach langjährigen gerichtlichen Verfahren bzw. außergerichtlichen Auseinandersetzungen mit den Versorgungsbehörden.

Inzwischen leiden die Anti-D-Geschädigten mehr als 33 Jahre unter den gesundheitlichen und finanziellen Folgen der an ihnen begangenen Arzneimittelstraftat. Bis heute sehen sich diese Geschädigten immer wieder genötigt, sich gegenüber staatlichen Behörden, Gerichten, Ärzten, Arbeitgebern und dem sozialen Umfeld zu rechtfertigen. Ihr Kampf richtet sich im Besonderen auf die Anerkennung von intra- und extrahepatischen Folge- und Spätschäden der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion sowie die gebührende Bemessung der damit verbundenen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkung von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen.

Obwohl das HCV-PCR Viruslast-Testergebnis „negativ" bzw. „nicht nachweisbar" lediglich „unter der Nachweisgrenze" bedeutet, suggeriert die in dieser Hinsicht entgegenwirkende Denkweise der zuständigen Versorgungsbehörden den Anti-D-Geschädigten zu Unrecht „negativ" bzw. „nicht nachweisbar“ sei ein und dasselbe wie vollständig „ausgeheilt“ i. S. von schädigungsfolgen- und beschwerdefrei und beziehe sich zudem auch nur auf Funktionsbeeinträchtigungen innerhalb der sich jetzt wieder regenerierenden Leber. Diese unrichtige Ansicht führt u. a. dazu, dass die Geschädigten insbesondere nach virusreduzierenden und mit starken Nebenwirkungen belasteten Interferontherapien, um ihre aus humanitären und sozialen Gründen anerkannte finanzielle Hilfe gebracht und darüber hinaus sogar ihrer Heil- und Krankenbehandlungsansprüche beraubt werden obwohl der labormedizinische Erfolg (Viruslast unter der Nachweisgrenze, < 50 Kopien/ml) bei Anti-D-Geschädigten meist in völligem Gegensatz zu deren Wahrnehmung steht. Hinzu kommt noch, dass innerhalb und außerhalb der Leber bereits entstandene Schädigungsfolgen (sog. intra- bzw. extrahepatische Manifestationen und Erkrankungen) der jahrzehntelangen chronischen Hepatitis und der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion unabhängig von einer „negativen" Viruslast, weiter fortbestehen und sich sogar noch verschlimmern können, ohne das die Auswirkungen dieser der z. T. schwerwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen von den Versorgungsbehörden anerkannt und mit bewertet werden.

Die 51. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag vom 28.09.2011 lässt nun erneut hoffen, dass durch die ehrenhafte Aufmerksamkeit parteilicher und überparteilicher Kräfte und nicht zuletzt durch das notwendige Eingreifen der Bundesregierung, die betreffenden Länder zur dem Sinn entsprechenden Umsetzung des Anti-D-Hilfegesetzes ermahnt und wenn nötig durch geeignete Rechtsmittel gezwungen werden.